Macht & Führung
- Pierre & Alexandra Frot
- 1. Juli 2019
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Juli 2019

Macht
Macht entsteht dann, wenn jemand ein Bedürfnis hat und ein anderer dieses befriedigen kann. Das ist aus Sicht Bert Hellingers eine wohltuende Macht, eine dienende Macht. Eltern sind natürlicherweise in einer Machtposition gegenüber ihren Kindern, weil diese bedürftig sind. Solange sie bedürftig sind, haben die Eltern Macht.
Ein Unternehmen hat auch ein Grundbedürfnis: Es möchte organisiert werden. Der Chef besitzt nicht deshalb Macht, weil er sie sich anmaßt, sondern weil er ein Bedürfnis befriedigt, das andere empfinden. Er besitzt seine Macht genau so lange, wie dieses Bedürfnis besteht.
Wenn jemand Macht hat, so muss er diese auch einsetzen. Wenn er nichts tut, kann das Bedürfnis nicht erfüllt werden, und die Bedürftigen sind mit Recht unzufrieden. Wenn jedoch ein Chef Macht besitzt und darauf besteht, ohne allerdings seine Leistung zu erbringen, wird er autoritär. Diese Art von Macht wird als schlimm oder als bedrohlich erfahren, und die Mitarbeiter wehren sich dagegen. Macht wird dann angenommen, wenn die anderen das Gefühl haben, dass sie in ihren Dienst gestellt wird, und abgelehnt, wenn eine Person Macht beansprucht, ohne sie zugunsten der anderen auszuüben.
Oft ist es nicht einfach, Macht auszuüben, selbst dann, wenn man als Vorgesetzter damit ausgestattet ist. Im Allgemeinen wird meistens eher der Machtmissbrauch als der Nichtgebrauch von Macht gefürchtet. Der zweite schwächt jedoch Organisationen genauso nachhaltig. Jemand, der seine Macht nicht einsetzt, um eine notwendige Entscheidung zu treffen, schwächt seinen Bereich und damit auch das gesamte Unternehmen.
Führung
So wie jede Organisation Macht braucht, benötigt sie auch Führung. Die Erfahrung zeigt,
dass in Teams oder Arbeitsgruppen, die sich selbst organisieren, schon nach kurzer Zeit ein
informeller Führer erkennbar wird, der die Verantwortung übernimmt. Bei echter Führung hat
Macht eine Funktion, weil sie einem Ergebnis dient. Systemisch gesehen ist Führung eine
Dienstleistung. Organisationsaufstellungen bestätigen immer wieder die große Bedeutung der Leitungsqualität und des Führungsverhaltens für ein Unternehmen. Dafür muss eine Führungskraft Führer sein wollen und dies auch sein dürfen. Sie muss ihre Rolle an- und einnehmen und somit auch die Aufgaben und Entscheidungen, die diese Rolle beinhalten.
Für Systeme ist die Führung eine Funktion, die inhaltlich auf allen Ebenen ausgefüllt werden
muss. Eine Führungskraft muss die gemeinsame Richtung vorgeben, Entscheidungen treffen
und diese auch verantworten. Wird die Leitungsfunktion ausgefüllt, hat die Führung Autorität und die Wertschätzung der Mitarbeiter. Häufig wird jedoch Führung aus verschiedenen Gründen nicht richtig gehandhabt:
Manchmal übernimmt eine Führungskraft ihre Aufgabe nicht, meistens aus einem familiären Hintergrund heraus (siehe dazu »Reinszenierung/Neuinszenierung des Familiensystems«). Sie lässt sich von Mitarbeitern ihre Position streitig machen, ohne sie zu verteidigen und sich zu behaupten. Teammeetings werden oft dazu genutzt, fällige Entscheidungen dorthin zu verlagern. Auch Berater werden oft als Bundesgenossen eingeladen, oder es werden ihnen Führungsaufgaben delegiert, die die Leitenden selbst nicht wahrnehmen möchten.
Es kann vorkommen, dass die Führungskraft aufgrund der Strukturen der Organisation nicht führen kann. Sie steht z. B. zu »nah« bei ihren Untergebenen und verliert deshalb den Überblick. Nimmt der Leitende einen Platz ein, von dem aus er auch leiten kann, ist ein wichtiger Beitrag dazu geleistet, dass in der Organisation ein Gefühl von Sicherheit und »in Ordnung sein« entsteht.
In Non-Profit-Organisationen werden Leitungsaufgaben oft zugunsten schwammiger Teamvorstellungen aufgeweicht. Führungspersonen stoßen deshalb zum Teil auf großen Widerstand.
Eine nicht ausgefüllte Leitungsfunktion führt zu einem Führungsvakuum, das das System ausgleicht, indem ein anderer diese Aufgabe übernimmt.
Führung »von hinten«
Innerhalb einer solchen Machtstruktur, das heißt in einer Organisation, gibt es auch eine
Rangfolge. Diese ist von großer Bedeutung, beispielsweise wenn ein neuer Chef ernannt wird und dieser als letzter zum Team gestoßen ist: Damit hat er von der zeitlichen Rangordnung her den letzten Platz inne, aufgrund seiner Funktion besetzt er jedoch den ersten Platz. Die neue Führungsperson muss den Spagat zwischen beiden Rangordnungen schaffen. Wenn er seinen Posten antritt und sofort und ohne Abstimmungen mit den anderen Veränderungen einführt, werden alle seine Initiativen und Neuerungen auf Widerstand stoßen, denn er versucht dann, »von vorne« zu führen, ohne dabei zu würdigen, was vor ihm da war. Wer später dazukommt, kann nur gut »von hinten« führen.
Wenn er etwas Neues einführen will, sollte er zuerst die anderen Mitarbeiter fragen, um
sich eine Meinung zu bilden. Dadurch fühlen sich alle in ihrem Wissen und ihrer Kompetenz
gewürdigt. Indem er also auf dem letzten Platz bleibt, erhält er die Zustimmung und die Unterstützung seiner Mitarbeiter zu seinem Führungsstil.
Er trifft die Entscheidung und trägt die Verantwortung, die anderen werden mit eingebunden. Die Führung »von hinten« versucht, zu gewinnen und anzuregen statt anzuordnen. Erst wenn der neue Chef genug Erfahrung im Unternehmen gesammelt hat, kann er »von vorne« führen.
Mögliche Aufstellungsbilder
Es gibt viele mögliche Aufstellungsbilder, die folgenden Konstellationen sind allerdings typisch:
Führungskräfte, die ihre Aufgaben nicht wahrnehmen, sind unter ihren Mitarbeitern »versteckt« und stehen, ohne den Überblick zu haben, inmitten der oft desorientierten Mitarbeiter. Von außen kann man nicht feststellen, dass die entsprechende Person eine Leitungsfunktion innehat.
Führungskräfte, die ihren Fokus auf ihren Vorgesetzten gerichtet haben, blicken von ihren Mitarbeitern abgewandt oder manchmal sogar ihnen den Rücken zukehrend, zu ihren Vorgesetzten. Sie suchen oft Unterstützung oder versuchen, es ihnen recht zu machen. Die Mitarbeiter fühlen sich vernachlässigt und ohne Halt.
Demotivierte Führungskräfte – z. B. weil sie herabgestuft wurden – schauen oft gelangweilt oder uninteressiert nach draußen.
»Halbleiter«: Diese Führungspersonen haben nur einen Teil der Mitarbeiter im Blick. Dies ist bei Fusionen, aber auch bei Teamspaltungen häufig zu beobachten.
Der »Experte« schaut als Führungskraft in der Regel nur auf die Aufgabe und nicht auf die Mitarbeiter.
Lösungsansatz
Wurde die Rangfolge – sei es die Hierarchie oder die zeitliche Rangfolge – nicht eingehalten, wird dies in einer Aufstellung sichtbar gemacht. Dadurch wird z. B. erkennbar, dass der Chef seine Leitungsfunktion nicht ausfüllt oder »von vorne« führt, anstatt vom letzten Platz aus zu führen. In beiden Fällen müssen die Rangordnungen akzeptiert werden.
Bei einem Nicht-Ausfüllen der Leitungsfunktion ist oft eine Aufstellung des Familiensystems
der Führungskraft notwendig. Chefs mit geringer Führungsenergie haben oft ihren Vater
nicht angenommen, und es fehlt ihnen daher an »Rückgrat«. Haben sich der Chef oder ein Mitarbeiter Zuständigkeiten angemaßt, die ihnen nicht zustehen, werden diese an die zuständige Person zurückgegeben.
Lösungsbild
In einem Lösungsbild steht oft ein Leiter gemeinsam mit seinem Stab rechts. Je mehr Autorität er besitzt, umso eher steht er seinen Mitarbeitern gegenüber. Ein Leiter, der aus dem Kreis der Mitarbeiter aufgestiegen ist und jetzt deren Vorgesetzter ist, steht im Bild als primus inter pares auch rechts, jedoch näher bei seinen Mitarbeitern.
Quellen: 106
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