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Parentifizierung

  • Autorenbild: Pierre & Alexandra Frot
    Pierre & Alexandra Frot
  • 1. Juli 2019
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 11. Juli 2019



Parentifizierung beschreibt die Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind. Dabei erfüllen die

Eltern ihre Elternfunktion unzureichend und weisen dem Kind eine nicht kindgerechte, überfordernde »Eltern-Rolle« zu. Wenn die Eltern etwas brauchen, wenden sie sich normalerweise an den Partner oder an ihre Eltern. Wenden sich jedoch Eltern mit Ansprüchen an ihre Kinder, die der Eltern-Kind-Beziehung nicht gerecht werden, – z. B. bei einer Forderung, dass die Kinder die Eltern trösten sollen – dann stellt dies eine Umkehrung der Verhältnisse dar – eine Parentifizierung. Das Kind kann dann nicht Kind sein, sondern es gerät in die Rolle eines Elternteils.


Parentifizierung in den Familienaufstellungen »nach Hellinger«


Systemisch gesehen ist die Parentifizierung eine Art von Verstrickung. Ein Kind (oder ein Mitarbeiter) wird zum Elternteil (oder Vorgesetzten), weil dieser seine Rolle nicht einnimmt. Oft steht hinter einer Parentifizierung die Problematik, dass jemand von seinen Eltern nicht genommen hat und dies dann von seinem Kind haben will.


Konsequenzen im System

Die Parentifizierung verstößt gegen die Ordnung der Liebe: Das Geben fließt nicht mehr

von oben nach unten, damit stellen sich die Kinder in der Rangordnung über die Eltern

und die Eltern unter die Kinder. Kinder fühlen sich dabei wichtig und vor allem groß. Weil die

Kinder sich nicht gegen eine Parentifizierung wehren können, gelangen sie in eine Anmaßung, für die sie sich anschließend bestrafen. Entwicklungsstörungen in der Kindheit haben Auswirkungen auf das Erwachsenenleben. Sehr häufig ist zu beobachten, dass sich

parentifizierte Kinder als Erwachsene über ihren erwachsenen Partner stellen und glauben,

ihm damit zu helfen. Das ist oft die Folge der Anmaßung in der Kindheit. Damit bleibt

aber die Ebenbürtigkeit in der Partnerschaft auf die Strecke und früher oder später bricht

eine solche Partnerschaft auseinander. Andere psychische Störungen wie vermindertes Selbstwertgefühl, Depressionen, Selbstmordgedanken, Essstörungen oder Ängstlichkeit können auch auftreten. In Bezug auf das Sozialverhalten gehören zu den möglichen Folgen: Schwierigkeiten, die Hilfe von anderen anzunehmen oder zu fordern, zwanghaftes Fürsorgeverhalten, die Flucht in Alkohol und Drogen sowie Überanpassung und Kommunikationsdefizite.


Lösungsansatz

Der Elternteil muss die Verantwortung für seine Aufgaben/Pflichten/Verantwortung mit allen

Konsequenzen zurücknehmen und das Kind als das, was es ist, anerkennen: ein Kind. Damit

wird das Kind entlastet, und gleichzeitig gewinnt derjenige, der sich sein Eigenes zurückholt, an Stärke und Würde (siehe dazu »Rangordnung in der Familie«). Oft verlangt die Lösung, dass die Großeltern, also die Eltern des schwachen Elternteils, in die Aufstellung mit eingebracht werden und dass der Elternteil von diesen Eltern annehmen kann.


Lösende Sätze

  • »Ich bin dein Vater/deine Mutter, und du bist mein Kind. Wenn ich dich mit meinen Aufgaben/Pflichten/Verantwortungen belastet habe, dann tut mir das leid. Das war nicht richtig. Ich nehme es wieder in meinen Zuständigkeitsbereich zurück, und du bist frei.«

  • »Ich bin dafür zuständig. Du kannst dafür nicht zuständig sein, du bist nur ein Kind. Ich nehme es wieder in meinen Zuständigkeitsbereich zurück, und du bist frei.«

  • »Ich sehe dich jetzt als mein Kind an. Ich bin der/die Große, du bist einfach nur ein Kind.« Um die Wirkung zu verstärken, kann als Ritual auch ein Objekt wieder zurückgenommen werden.

Parentifizierung in der Mehrgenerationalen Psychotraumatologie


Für Franz Ruppert können die Eltern eines parentifizierten Kindes selbst kein sicheres Bindungsobjekt für das Kind sein, weil sie überlastet oder selbst bedürftig sind. Die Erwartungshaltung an das Kind resultiert meist aus der eigenen Unsicherheit bezüglich der Verfügbarkeit von Bindungspersonen. Sie hatten in der eigenen Kindheit keine geeigneten Bindungspersonen, oder die aktuelle Lebenssituation ist durch problematische Partnerschaften, Trennung und Scheidung, Selbstunsicherheit, Drogenmissbrauch, psychische Störungen oder Krankheiten erschwert. Unter Geschwistern wird häufig das

älteste Kind oder das Kind mit der höchsten Sensibilität und Empathiefähigkeit parentifiziert.

Trotz der daraus entstehenden persönlichen Nachteile versuchen viele Kinder, die nicht

kindgerechte Rollenerwartung zu erfüllen, um weitere Verluste zu vermeiden und um in der

Nähe der Eltern bleiben zu können. Dies ist für das Kind eine Überlebensstrategie. Das wird

deshalb den anderen Bedürfnissen übergeordnet. Hinzu kommt, dass Vater und/oder Mutter

bei einer Parentifizierung mit ihrem Kind permanent unzufrieden sind: Sie leben einen ungelösten Konflikt mit ihren eigenen Eltern und wollen, dass ihr Kind erwachsener sein soll, als es ist, und an ihnen Wiedergutmachung für das Verhältnis zu ihren eigenen Eltern leistet. Das Kind wird mit diesem Anspruch emotional völlig überfordert. Parentifizierung führt unweigerlich zu einem Schuldgefühl. Weil es das Kind nicht schafft, sich aus dem Anspruch der Eltern zu lösen, ist es voller Schuldgefühle ihnen gegenüber. Das parentifizierte Kind denkt: »Ich bin schlecht, weil ich meine Mutter nicht so liebe, wie ich sollte.« Dieses anhaltende Gefühl von Schuld führt seinerseits dazu, dass sich das Kind schlecht fühlen muss bzw. dass es ihm nicht gut gehen darf, wenn es seinen Eltern schlecht geht. Man kann auch von einer »emotionalen Erpressung« des Elternteils sprechen.


Lösungsansatz

Die Aufgabe der Eltern wäre es, ihre Kinder von diesen Schuldgefühlen zu entlasten und ihnen die Möglichkeit zur Abgrenzung zu geben. Weil traumatisierte Eltern dies aber nicht ohne Weiteres können, bleibt dem Kind nichts anders übrig, als sein eigenes Symbiosetrauma anzuerkennen und therapeutisch daran zu arbeiten.

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