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Ratsuchende/ Kunden/ Klienten/ Aufstellende

Aktualisiert: 11. Juli 2019




Bei systemischen Therapien wird in der Regel nicht von »Patienten« sondern eher von »Klienten», »Kunden« oder »Ratsuchenden« gesprochen. Bei allen Aufstellungen geht es um das Anliegen eines Ratsuchenden. Menschen, die zu einer Aufstellung kommen, sind sehr verschieden. Sie unterschieden sich durch ihre Erwartungen, ihre Haltung und ihr Anliegen. Nicht selten – vor allem bei psychischen Störungen – haben sie schon mehrere Therapieansätze erfolglos versucht.


Motivation und Einstellungen des Ratsuchenden

Nicht alle Ratsuchenden wollen unbedingt ihre Probleme lösen. Oft wird bei Aufstellern zwischen vier Kategorien von Ratsuchenden unterschieden:

  • entschlossene Ratsuchende mit dem tatsächlichen Wunsch zu handeln,

  • jammernde Ratsuchende, die sich selbst als Opfer (von anderen, der Umstände …) sehen,

  • Ratsuchende, die selbst nicht wissen, was sie eigentlich mit der Aufstellung erreichen wollen,

  • Menschen, die von anderen zur Aufstellung geschickt wurden.

Aufstellungsarbeit ist insbesondere für Erstgenannte sehr effektiv. Wenn ein Ratsuchender

bereit ist zu handeln, wartet er nur darauf, dass ihm gezeigt wird, wie er handeln kann. Durch

eine Aufstellung wird dieser Ratsuchende am Ende »größer« sein als zuvor, weil die Aufstellung sein inneres Wachstum gefördert hat. Bei Ratsuchenden, die nicht bereit sind, zu handeln, ist das Risiko groß, dass sie umgekehrt immer »kleiner« und unsicherer werden, weil sie durch ihr Nichtstun den Beweis bekommen, dass sie ihr Problem (noch) nicht lösen können (siehe dazu auch »Blockade«). Bei den Menschen dieser Kategorie kann es auch vorkommen, dass viele Widerstände gegen eine mögliche Lösung vorhanden sind. Viele Aufstellungsleiter verweigern sogar die Arbeit mit Ratsuchenden, die sich nicht als ebenbürtig, sondern als bedürftig ausgeben. Gleiches gilt auch für Ratsuchende, die nur jammern, z. B. weil sie eine schlechte Jugend hatten. Das hat nicht den Grund, dass diese keine Hilfe bräuchten, aber ihre Haltung steht einer Lösung im Weg. Die Opferrolle z. B., ist oft eine raffinierte Form der Rache. Der kindliche Anteil im Ratsuchenden spürt, dass er durch nichts die anderen Systemmitglieder – z. B. die eigenen Eltern oder das eigene Kind – tiefer trifft, als durch das Schuldgefühl, das er mit seinem angeblichen Leiden hervorruft. Der Einsatz dieses Machtmittels verursacht zwar Selbstschädigung und Selbstzerstörung, es ist aber schwer für den Ratsuchenden, darauf zu verzichten, solange er diese Rache-Dynamik nicht einsieht.


Die Rolle des Ratsuchenden während einer Aufstellung

Der Ratsuchende ist bei einer Aufstellung Beteiligter und Zuschauer zugleich. Die meiste

Zeit beobachtet er sich selbst durch seinen Stellvertreter und die Dynamiken seines Familiensystems durch die übrigen Stellvertreter aus der Distanz. Er ist damit von seinem Problembild dissoziiert, kann die Situation aus unterschiedlichen Positionen betrachten und sie damit völlig anders wahrnehmen, erleben und beurteilen. Diese distanzierte Position erleichtert es, die Perspektiven anderer Personen einzunehmen und nachzuvollziehen. Es dient auch der Vorbereitung für empathisches Beziehungserleben. Aus diesem Grund achten die Aufstellungsleiter immer darauf, dass der Ratsuchende immer einen Platz nimmt, von dem aus er die Aufstellung gut sehen kann. Der Ratsuchende nimmt oft erst am Ende der Aufstellung seine eigene Rolle ein und erlebt damit sein Thema in einer assoziierten Position. Wann er genau in die Aufstellung hineingenommen wird, hängt von dem Ansatz, dem Aufstellungsleiter und der Aufstellung ab.

  • Familienstellen »nach Hellinger«: Manche Aufstellungsleiter fangen die Aufstellung sofort mit dem Ratsuchenden an, weil sie der Meinung sind, dass die »Vollzüge der Seele« dadurch kraftvoller sind. Manchmal wird der Ratsuchende während der Aufstellung hineingenommen, um die Energie zu erhöhen. In der Regel wird er aber erst gegen Ende der Aufstellung geholt, wenn wichtige Schritte, wie z. B. eine Verneigung oder eine Rückgabe, selbst gemacht werden müssen. Es geht dabei darum, die Entlastung nach diesem Ritual tatsächlich zu spüren. Dieser Schritt ist wichtig, weil Lösungsbewegungen manchmal von einem Stellvertreter problemlos durchgeführt werden können, aber vom Ratsuchenden abgelehnt werden.

  • Systemische Strukturaufstellungen: Der Ratsuchende wird meistens erst in das Lösungsbild hineingenommen.

  • Aufstellen des Anliegens in der Mehrgenerationalen Psychotraumatologie: Der Ratsu- chende wird immer von Anfang an mit aufgestellt.


Haltung des Aufstellungsleiters dem Ratsuchenden gegenüber

Aufsteller folgen meistens den Prinzipien der systemischen Therapien, wenn es um das Menschenbild des Ratsuchenden geht. Diese sind:

  • Prinzip der Autonomie des Individuums: Dies bedeutet, dass der Mensch nicht vollständig durch seine Umwelt determiniert ist. Es ist jedem Menschen theoretisch auch in schwierigen Umständen möglich, ein zufriedenes Leben zu führen. Die Aufstellungsarbeit sollte dazu Hilfe leisten, insbesondere durch die Befreiung von familiären Verstrickungen.

  • Aufsteller und Ratsuchende begegnen sich von gleich zu gleich, beide als Erwachsene: Dieses Prinzip betont Bert Hellinger in seinen Ordnungen des Helfens. Dies setzt aber voraus, dass der Aufsteller nie Mitleid für den Ratsuchenden empfindet. Mitleid ist eine anmaßende Haltung.


Kritische Stimmen

Systemische Therapien setzen sich deutlich von anderen Therapieformen ab, bei denen der Aufsteller sowohl als Experte für die Problemfindung als auch für die Problemlösung gilt. In Strukturaufstellungen z. B., wird der Ratsuchende als »Experte« für seine eigenen Probleme betrachtet, der am besten weiß, worunter er leidet. Der Therapeut (bei Strukturaufstellungen der Begleiter) ist lediglich für die Rahmenbedingungen des Veränderungsprozesses zuständig. Es wird Aufstellern allerdings oft vorgeworfen, dass der Aufstellungsleiter bei Familienaufstellungen »nach Hellinger« eine Expertenhaltung – und damit eine Machtposition – einnimmt, die nicht mehr den zeitgemäßen Beratungsformen entspricht.

Absolute Aussagen des Leiters im Rahmen einer Aufstellung fördern es – so die Kritiker –, die gefundenen Ordnungen als normative Wahrheiten zu betrachten, was häufig auch als Entmündigung des Ratsuchenden kritisiert wird.

Quellen: 156

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