Schicksal
- Pierre & Alexandra Frot
- 8. Juli 2019
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Juli 2019

Schicksal in Familienaufstellungen
»nach Hellinger«
Aufstellungen haben gezeigt, dass schwere
Schicksale eine sehr starke Wirkung ausüben
können, die über Generationen hinweg sichtbar
sein kann. Ereignisse, die sich in einer Familie
auf die Kinder, Enkel und manchmal sogar Urenkel
auf vielfältige Weise auswirken sind u. a.:
• früher Tod,
• Selbstmord,
• schwere Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung
oder Kriegsverbrechen,
• schwere Krankheit, Erbkrankheiten oder psychische
Krankheiten,
• Tod im Kindbett, Totgeburten,
• weggegebenes Kind (siehe dazu »Adoption«),
• Verlust der Heimat: freiwillig oder durch Vertreibung,
Auswanderung oder Flucht,
• Schicksale, die jemanden zum Außenseiter
machen wie Behinderung, Gefängnisaufenthalt,
Homosexualität usw.
Konsequenzen im System
Oft werden die Opfer solcher Schicksale aus
dem Familiensystem ausgeklammert, weil die
Erinnerungen zu schmerzhaft sind oder die
Scham zu groß ist. Damit wird ihnen das Recht
auf Zugehörigkeit verweigert. Wird ein Familienmitglied
wegen seines Schicksals verschwiegen
oder ausgegrenzt, so wird ein später geborenes
Familienmitglied dessen Schicksal wiederholen.
Dies ist in Hellingers Lehre eine Wirkung
des Familiengewissens. Bewusst oder unbewusst
will der Nachgeborene für früheres Unrecht
»Sühne« leisten oder Opfer bringen. Er lebt
ein fremdes Schicksal nach und stellt es samt
Schuld, Unschuld und Unglück noch einmal
dar – mit Gefühlen und allem, was dazu gehört.
Sühnen und Opfer für andere sind jedoch sinnlos,
denn niemand kann anstelle eines anderen
Schuld abtragen. Eine Person, die ihrem eigenen,
nicht veränderbaren Schicksal nicht zustimmt
und nach Schuldigen sucht, kann ihre
Kraft nicht entfalten.
Lösungsansatz
• Persönliches Schicksal: Eines der inhärenten
Prinzipien eines Familiensystems besagt,
dass jeder sein Schicksal selbst tragen sollte,
mit allen Lasten und Gefühlen, unabhängig
von seiner Schwere im Einzelfall (siehe dazu
»Ordnungen der Liebe«). Zum persönlichen
Schicksal gehört auch, den Folgen von eigenem
Handeln und eigener Schuld zuzustimmen.
Es gehört z. B. auch dazu, innerlich zuzustimmen,
dass man ein behindertes Kind hat
oder durch eine Erbkrankheit eine geringe
Lebenserwartung hat. Gerade wenn jemand
seinem Schicksal zustimmen kann, findet er
oft hilfreiche Wege innerhalb der gesetzten
Grenzen. Die Zustimmung zu seinem Schicksal
gilt auch für positive Ereignisse. Oft schließen
Überlebende eines schweren Unfalls mit
ihrem Leben ab, weil sie glauben, sterben zu
müssen. In der Folgezeit leben sie dann lustlos
weiter (siehe dazu »Lebenshemmung«). Als
einziger Ausweg aus schicksalhafter Schuld
bleibt nur die Unterwerfung, das Sich-Einfügen
in einen überm.chtigen Zusammenhang.
Die Grundhaltung dafür ist Demut. Sie erlaubt
es, das Leben oder das Glück anzunehmen,
solange es andauert, unabhängig vom
Preis, den andere dafür bezahlen mussten. Sie
lässt einen auch dem eigenen Tod und einem
schweren Schicksal zustimmen, wenn man an
der Reihe ist.
• Fremdes Schicksal: Bei einer Verstrickung ist
es daher angemessen, jedem sein Schicksal
zu lassen und sich aus anderen Leben herauszuhalten.
Das kann in Familienaufstellungen
z. B. durch die Achtung des fremden Schicksals
geschehen. Auf diese Weise wird die Verstrickung
gelöst.
Aufstellungstechnik
Manchmal will sich der Ratsuchende nicht von
dem fremden Schicksal trennen. Oft fürchtet
er, damit seine Zugehörigkeit zum System und
damit auch seine Identität zu verlieren. Manche
Aufstellungsleiter lassen den Ratsuchenden
während der Aufstellung einen schweren Stein
als Symbol des fremden Schicksals tragen, bis
der Ratsuchende bereit ist, dieses aufzugeben.
Beim Überleben einer Gefahr ist es auch angemessen,
dass sich der Überlebende für seine
Errettung bei seinem Schicksal bedankt, auch
indem er das Geschenk des Lebens neu annimmt
und etwas daraus macht. Dafür wird oft
das Schicksal (eigenes oder fremdes Schicksal)
als Systemelement aufgestellt.
Lösende Sätze
• »Ich achte dein Schicksal, und ich lasse es
ganz bei dir.«
Dieser Satz ist gleichzeitig ein Akt der Würdigung.
Damit wird anerkannt, dass die Person
stark genug ist, ihr Schicksal allein tragen zu
können.
• Manchmal ist es auch hilfreich, wenn der Betroffene
dem Ratsuchenden sagt: »Es ist mein
Schicksal, und ich trage es. Du achtest mich,
wenn du es mir lässt.«
Schicksal aus Sicht der Mehrgenerationalen
Psychotraumatologie
Für Franz Ruppert arbeitet Bert Hellinger implizit
mit Traumastörungen, hat jedoch keine echte
Systematik für die Erfassung und Heilung von
Traumastörungen entwickelt. Die »Ereignisse«
oder »schweren Schicksale« im Familiensystem
sind seiner Ansicht nach nichts anderes als massive
Traumata im Bindungssystem:
• Kriegsereignisse, extreme Gewalt, Mordversuche
oder schwere Unfälle sind Existenztraumata.
• Früher Tod der Eltern oder eines Kindes,
Trennung der Eltern, Trennung von früheren
Partner, Adoption, Fehlgeburt, Abtreibung
oder Verlust der Heimat sind Verlusttraumata.
• Die unterbrochene Hinbewegung ist ein deutliches
Symptom eines Bindungs-/Symbiosetraumas.
• Kindesmissbrauch und andere Familiengeheimnisse,
die schwere Schuld- und Schamgefühle
hervorrufen, sind die Ursachen für
Bindungssystemtraumata.
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