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Schuld & Sühne

  • Autorenbild: Pierre & Alexandra Frot
    Pierre & Alexandra Frot
  • 8. Juli 2019
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 11. Juli 2019



Schuld ist ein sehr verbreitetes Thema im Rahmen von Familienaufstellungen. Oft geht es

nicht um eigene Schuld, sondern um übernommene Schuld aus vorherigen Generationen. Typische Themen bei schwerer Schuld oder schwerem Unrecht sind:

  • Ein Familienmitglied hat ein Verbrechen wie Mord oder Totschlag begangen oder ernsthaft jemandem mit Mord gedroht.

  • Ein Familienmitglied war Täter bei sexuellem Missbrauch.

  • Jemand in der Familie hat unrechtmäßig vererbt oder geerbt, oder jemand kam durch ein Verbrechen zu Reichtum.

  • Ein Familienmitglied war in das nationalsozialistische System verwickelt.

Viele Menschen haben ein gebrochenes Verhältnis zu ihrer Schuld, sie wird geleugnet oder

verdrängt. Der Täter lebt ungerührt weiter und weigert sich, seine Schuld anzunehmen, so ist es z. B. oft bei Abtreibungen der der Fall. Es gibt auch die sogenannte schicksalhafte

Schuld, wenn beispielsweise jemand einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein anderer ums Leben kommt, er selbst aber überlebt. Manchmal ist diese Schuld begründet, manchmal aber auch nicht: Das Kind, dessen Mutter bei der Geburt starb, fühlt sich schuldig für ihren Tod. Der Überlebende eines Unfalls oder auch eines Krieges fühlt sich schuldig, noch am Leben zu sein. Diese sogenannte »Überlebensschuld« findet sich auch häufig bei Personen, die ein Konzentrationslager überlebt haben. Diese Dynamik kommt jedoch auch bei nicht so übergreifenden Ereignissen vor, z. B. wenn bei einer Zwillingsschwangerschaft

einer der beiden Zwillinge im Mutterleib abstirbt.


Sühne

Ein weit verbreiteter Versuch, sich von seiner Schuld zu entlasten, ist die Sühne. Sühne bedeutet: »Ich versuche das Geschehen wiedergutzumachen, indem ich es mir selbst nicht gut gehen lasse.« Die Sühne stillt das Bedürfnis des Täters nach Ausgleich. Sie ist immer ein Verzicht, z. B. auf einen Gewinn, auf Liebe, auf Anerkennung, oft auf Gesundheit oder selbst auf das Leben. Die Schuld wird dabei wie eine Sache behandelt, die man durch fortwährendes persönliches Leiden bezahlen kann. Sühne ist ein Sekundärgefühl, das Trauer, Schuld und Schmerz ersetzen soll. Sie ist ichbezogen und macht blind für das Vergehen und das Opfer. Mit Sühne versucht der Täter auch, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und es in einer Weise zu wenden, in der Leben genommen wird, anstatt welches zu geben. Der Ausgleich durch Sühne bringt jedoch nur doppeltes Leid. Wirklich entlastend

kann nur das sein, was demjenigen, an dem sich der Täter schuldig gemacht hat, dient.

Durch die Sühne vermeidet der Täter aber, was notwendig ist – nämlich versöhnendes Handeln. Die Sühne für eine persönliche Schuld läuft oft unbewusst ab, z. B. versucht eine Mutter eine Abtreibung damit zu sühnen, dass sie die Beziehung zum Mann und Vater des Kindes aufgibt. Bei nicht realer Schuld sühnen z. B. die Überlebenden auf die Art und Weise, dass sie sich selbst verbieten, das Leben anzunehmen und zu genießen (siehe dazu auch »Lebenshemmung«).


Konsequenzen im System

Schuld muss anerkannt und getragen werden. Wenn eine Schuld geleugnet wird, entzieht der Täter sich selbst Kraft: Er fühlt sich schuldig und schwach. Darüber hinaus sorgen laut Bert Hellinger das Streben nach Ausgleich und die Ordnung, die in Familien herrscht, dafür, dass die Schuld später von Nachkommen gesühnt wird. Eine Form, in der diese kindliche Liebe und Treue zum System zum Ausdruck kommt, lässt sich mit den Worten zusammenfassen: »Ich sühne für deine Schuld.« Das Kind ist durch Schuld verstrickt, es fühlt sich schuldig, ohne schuld zu sein, und dies ist äußerst belastend. Oft versucht der Verstrickte »zu gehen«:

  • aus dem Leben: durch Unfälle, tödliche Erkrankung, Selbstmord,

  • aus der Realität: durch Verwirrtheitszustände, Psychose, Schizophrenie,

  • aus der Gesellschaft: durch Misserfolg in Beruf und Partnerschaft oder durch kriminelles Verhalten mit der Konsequenz Verurteilung und Gefängnisstrafe,

  • aus der Heimat: Verlassen der eigenen Familie (z. B. durch das Provozieren einer Scheidung), Verlassen der Heimatstadt oder des Heimatlandes (z. B. durch Auswanderung).


Mögliches Aufstellungsbild

Bei einer Schuldthematik wirken die Stellvertreter oft niedergeschlagen und fühlen manchmal sogar eine Last, die auf ihre Schultern drückt. Es kann auch vorkommen, dass die Stellvertreter unangenehme Gefühle empfinden, wenn das schuldige Familienmitglied aufgestellt wird, wie z. B. Gefühle von Kälte, Schwere, Zittern in den Knien usw.

Der Schuldige selbst fühlt sich, hat er ein schweren Verbrechen begangen, vor der Tür besser als drinnen im Raum. Er will weggehen. Daher vertrat Bert Hellinger früher die Meinung, dass der Täter bei einem schweren Verbrechen wie Mord seinen Platz in der Familie verspielt hatte und folglich gehen musste. Mittlerweile herrscht die allgemeine Ansicht vor, dass keiner seinen Platz im Familiensystem »verspielen« kann und jeder ein Recht auf Zugehörigkeit hat.


Lösungsansatz für eigene Schuld

Wer jemandem persönlich Unrecht tut, muss sich dafür verantworten – auch bei schicksalhafter Schuld. Persönliche Schuld wirkt kräftigend und als Quelle der Kraft, wenn sie eingestanden wird. Wer seine persönliche Schuld auf sich nimmt, spürt keine Schuldgefühle mehr, sondern bekommt Kraft zum Handeln. Auch das Zugeben der Schuld und das Ausleben des Schmerzes über das zugefügte Unrecht können zumindest teilweise von der Schuld entlasten. Persönliche Schuld kann oft nicht rückgängig gemacht, aber dennoch kann sie getilgt werden. Wenn man zu ihr steht, die Verantwortung für sich und seine Entscheidungen und seine Handlungen übernimmt und wenn man auf irgendeine

Art und Weise Wiedergutmachung leistet, dürfen die Schuldgefühle irgendwann vorbei

sein. Die Wiedergutmachung ist allerdings nicht einfach. Oft suchen Opfer den Ausgleich durch sogenannte »Gerechtigkeit«. Darunter verstehen sie, dass der Täter gleichfalls einen Schaden desselben Ausmaßes erleiden soll. Wer aber dem erlittenen Schaden und dem Unrecht zustimmt, gewinnt – ähnlich wie der Schuldige – die Kraft und die Energie zu handeln. Daher sollte das Opfer eine Wiedergutmachung akzeptieren, ohne bis zum Letzten gehen zu wollen. Wirklich entlastend sowohl für den Täter als auch für das Opfer ist ausschließlich das, was dem Opfer dient. Dies kann nur ein Handel sein, der ihm oder der Gruppe, der es angehört, einen Vorteil bringt, sie voranbringt und ihr eine Sorge nimmt. Die Schuld liefert die Energie, die für solches Handeln gebraucht wird. Auch wenn das Opfer tot ist, ist eine Lösung möglich, z. B. indem die Mutter ihr abgetriebenes Kind anschaut und ihm sagt: »Es tut mir leid. Ich gebe dir jetzt einen Platz in meinem Herzen. Du sollst Anteil am Guten haben, das ich im Gedenken an dich vollbringe.« Das gilt auch für den Verursacher eines Unfalls. Der Tod seiner Opfer wäre umsonst gewesen, wenn der Schuldige sich das Leben nimmt oder seine Gefühle durch Alkoholkonsum verdrängt. Größe liegt im Gegensatz dazu darin, im Angesicht der Schuld noch etwas Gutes im Leben zu tun. In der Regel geht es in einer Aufstellung den Opfern nicht gut, wenn sie sehen, dass der Schuldige sein Leben ungenutzt lässt. Es existieren jedoch auch Schuld und Unrecht, die nie wieder gutgemacht werden können. In diesen Fällen kann der Täter nur seinem Schicksal zustimmen und sich ihm unterwerfen.


Aufstellungstechnik

Bei schwerer Schuld des Ratsuchenden, z. B. bei einem Mörder oder notorischem Vergewaltiger, raten viele Aufsteller, das Thema gar nicht erst aufzustellen und sich einzumischen. Die Kräfte, die dahinterstecken, sind oft zu groß. Bert Hellinger sagte z. B. nach einer solchen Aufstellung: »Vielleicht ist die Krankheit gemäß. In der Zustimmung zur Krankheit bewahrt sie (die Täterin) ihre Würde. Für mich war der Eindruck ganz klar: Hier ist Sühne für Schuld im Spiel. Und da darf man nicht eingreifen.«


Lösungsansatz für übernommene Schuld

Die Lösung besteht darin, Schuld, Sühne und die Folgen der Tat dort zu lassen, wo sie hingehören. Ein System kann erst zur Ruhe kommen, wenn jeder der Beteiligten seinen Teil der Schuld übernimmt. Dies lässt sich z. B. mit folgenden Sätzen vollziehen:

»Lieber Großvater, ich verneige mich vor deinem Schicksal und vor deiner Schuld. Ich lasse es bei dir, mit all den Folgen«.

Es erleichtert oft die Lösung, wenn die Schuld oder die Last in einem Ritual zurückgegeben

wird. Als Symbol für eine solche schwere Last, die getragen wurde, kann z. B. ein schwerer

Stein genutzt werden. Das Ritual war erfolgreich, wenn der Stellvertreter sich anschließend

erleichtert fühlt und spontan aufatmen kann. Gelang die Rückgabe nicht wirklich, muss sie

wiederholt werden. Dieses Ritual stellt einen Akt der Würdigung dar, durch den anerkannt

wird, dass die Person stark genug ist, ihre Last allein tragen zu können. Bei schicksalhafter Schuld – z. B. bei den Überlebenden eines Unfalls oder eines Kriegsverbrechens – ist die einzige Möglichkeit zur Lösung, dass der Überlebende sein Leben als Geschenk annimmt und etwas Gutes und Besonderes aus seinem Leben macht.

Quellen: 164, 165

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