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Sucht

  • Autorenbild: Pierre & Alexandra Frot
    Pierre & Alexandra Frot
  • 8. Juli 2019
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 11. Juli 2019



Allgemein

Sucht ist der umgangssprachliche Begriff für verschiedene medizinisch-psychologische Krankheitsbilder. In der Fachwelt ist er ersetzt worden durch die Begriffe:

  • »Abhängigkeitssyndrom für substanzgebundene Abhängigkeiten« (wie z. B. von Zigaretten, Alkohol, Medikamenten und sogenannten »weichen« und »harten« Drogen)

  • »Impulskontrollstörung, Zwangsstörung oder Verhaltenssucht für nicht-substanzgebundene Abhängigkeiten« (wie z. B. Arbeits-, Computer-, Ess-, Kauf-, Sex-, Spiel-, Sportsucht).

Physiologisch gesehen sind die Wirkmechanismen der zwei Formen jedoch sehr ähnlich:

Jede Suchtform führt über die Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter wie Dopamin zu

einer besonderen Sensibilisierung und Übererregbarkeit des Belohnungssystems im Gehirn.

Dadurch entstehen mit der Zeit Veränderungen und Fehlfunktionen dieses Systems, die mit

einer Abhängigkeitsentwicklung einhergehen. Das Belohnungssystem im Gehirn wird durch

stoffgebundene Abhängigkeiten (z. B. von Alkohol und Drogen) aktiviert, aber ebenso durch

nicht stoffgebundene Suchtformen wie Glücksspiel- oder Sportsucht. In der Psychotherapie wird Sucht als Symptom und nicht als die eigentliche Krankheit betrachtet. Alkoholismus kann z. B. ein Schutzmechanismus vor Traumaerfahrungen sein oder eine Methode, um mit schwerer persönlicher Schuld umzugehen, z. B. wenn eine Person grob fahrlässig einen Verkehrsunfall verursachte, bei dem jemand ums Leben kam. Alkohol kann helfen, der eigenen Schuld nicht ins Auge sehen zu müssen. Es scheint einfacher zu sein, stattdessen sein eigenes Leben mit Alkohol zu ruinieren. Sucht kann daher aus Sicht vieler Psychotherapeuten nur verschwinden, wenn für den Patienten eine Alternative zur Bewältigung seiner oft chaotischen Gefühle gefunden wird.


Sucht in Familienaufstellungen »nach Hellinger«

Für Bert Hellinger ist »die Hauptdynamik der Sucht, dass derjenige von seinem Vater nicht

nehmen kann oder darf. Die Mutter vermittelt dem Kind: Nur, was von mir kommt, ist gut, und was vom Vater kommt und von seiner Familie, taugt nichts. Das darfst du nicht nehmen. Nimm nur von mir! Das Kind sagt dann: Wenn ich nur von dir nehmen darf, Mutter, dann räche ich mich und nehme so viel, dass es mir schadet. Die Sucht ist sozusagen die Rache und Sühne für das Nichtnehmen-Dürfen vom Vater«. Das Symptom entsteht wie immer in Familiensystemen aus Liebe heraus.

Allgemeiner formuliert entsteht eine Sucht dort, wo jemand fehlt. Die Sucht ist Ersatz für

eine fehlende Person. In der Regel ist dies der Vater. Bei jugendlichen Süchtigen findet man

häufig früh verstorbene oder abwesende Väter in den Familiensystemen.

Lebensgefährliche Sucht, wie sie beispielsweise bei Konsumenten von harten Drogen wie Heroin vorliegt, stellt manchmal einen verdeckten Selbstmordversuch dar. Oft folgt der Betroffene der Dynamik »Ich folge dir nach« oder »Lieber ich als du.«

Bert Hellinger bringt das Beispiel einer heroinsüchtigen jungen Frau, deren Mutter an Krebs erkrankt war und die im Sterben lag. In der Aufstellung war die große Liebe der Tochter zu sehen. Sie streckte ihr die Arme entgegen und sagte zur Mutter: »Ich komme mit.«


Typisches Aufstellungsbild

In der Regel fühlen sich die Personen mit Sucht sehr schlecht und allein und schauen oft ins

Leere.


Lösungsansatz

Allgemein gesprochen muss eine erfolgreiche Aufstellung bei den emotionalen Ursachen ansetzen. Das Ziel sollte sein, emotionale Verstrickungen mit den Eltern zu lösen und im Hinblick auf die jeweiligen Schicksale der Eltern das zu betrauern, was in der Kindheit nicht möglich war. Die Sucht wird z. B. geheilt, wenn das Kind vom Vater nimmt, und der Vater dem Kind gibt – und zwar in Anwesenheit der Mutter. Dies gilt z. B. für Alkohol-, Drogen- und Esssucht. In einem Fall von Spielsucht wollte der Ratsuchende zu seinem toten Vater (siehe auch »Nachfolge«). Die dahinterliegende Dynamik ließ sich wie folgt umschreiben: »Lieber verspiele ich mein Geld als mein Leben«. Der Patient sollte diesen Satz jedes Mal, wenn er wieder spielte, wiederholen.

Bei einer Sucht, die aufgrund schwerer persönlicher Schuldgefühle entwickelt wurde, wird die Sucht geheilt, wenn die Aufstellung dem Betreffenden hilft, der Schuld seelisch zu begegnen. Auf diese Weise wird die »Ersatzfunktion« des Suchtmittels beendet.


Lösende Sätze

Siehe dazu in erster Linie die lösenden Sätze bei den Artikeln zu den verschiedenen Suchtformen. Z. B. sagt ein spielsüchtiger Patient, der seinem Vater in den Tod nachfolgen möchte (siehe »Nachfolge«): »Du bist tot, ich bleibe noch ein bisschen. Dann sterbe ich auch. Lieber verspiele ich mein Geld als mein Leben.«


Lösungsbild und Entlassungsritual

Siehe dazu in erster Linie die Artikel zu den verschiedenen Suchtformen.



Sucht in der Mehrgenerationalen Psychotraumatologie

Für Franz Ruppert gibt es zwei Hauptursachen für eine Sucht:

  • Sucht als Konsequenz von Traumaerfahrungen: Die Menschen konsumieren z. B. Alkohol oder Drogen, um damit die unangenehmen Gefühle zu überlagern, die sie während einer starken traumatischen Erfahrung gemacht haben. Gefühle von Scham u. a. werden abgespalten. Das führt zu innerer Leere, die mithilfe der Drogen behoben werden soll.

  • Sucht als Konsequenz eines Symbiosetraumas: Sofern die Sucht nicht aus dem Versuch heraus entsteht, ein Trauma mithilfe von Drogen oder Alkohol zu bewältigen, liegt die Ursache der Sucht in massiven Bindungsstörungen, die aus den Traumaerfahrungen der Eltern der Süchtigen resultieren. Süchtige sind in der Regel Kinder, die keine sichere Bindung zu ihrer Mutter und/oder zu ihrem Vater entwickeln konnten. Aufgrund eigener Traumaerfahrungen – z. B. weil die eigene Mutter früh starb – sind manche Mütter selbst noch kindlich bedürftig. Sie können dem eigenen Kind emotional nicht das bieten, was es braucht. Um nicht selbst in ihre Traumagefühle abzugleiten, lassen sie das Kind emotional kaum an sich heran. Das Kind verbindet sich mit dem Traumagefühl des Elternteils oder eines anderen Familienmitglieds, weil es sich ansonsten allein und verlassen fühlt (siehe dazu »Symbiose und symbiotische Verstrickungen «). Das Kind findet bei seinen Eltern keinen emotionalen Halt und sucht vergeblich nach diesem. »Ich werde nicht geliebt, und ich kann auch von niemandem geliebt werden«, ist in einem solchen Fall die kindliche Botschaft, die hinter der schweren Drogenabhängigkeit steckt.

Risikogruppen für Suchtentwicklung sind daher:

  • traumatisierte Täter und Opfer,

  • elternlose, weggegebene, abgelehnte Kinder,

  • missbrauchte Kinder,

  • mit ihren Eltern symbiotisch verstrickte Kinder,

  • bindungsgestörte und traumatisierte Menschen.

In allen Fällen ist Sucht eine Überlebensstrategie, um aus einer psychisch als unerträglich erlebten Realität zu fliehen. Je schwerwiegender die ursprüngliche Traumatisierung, umso gefährlicher und härter sind die eingenommenen Drogen.


Co-Abhängigkeit

Süchtige suchen und finden andere Süchtige, weil sie die symbiotische Unterversorgung bei

einem anderen Menschen sofort als solche erkennen und ihm helfen möchten. Sie geraten in

Co-Abhängigkeiten, weil sich jeder der beiden weigert, sein Trauma anzuerkennen Wenn die

symbiotische Verstrickung zur Mutter/zum Vater oder zum Partner nicht gesehen wird, werden diese das Kind bzw. den Partner weiterhin in ihrer Abhängigkeit – bewusst oder unbewusst – unterstützen.


Lösungsansatz

Erfolg wird nur dann eintreten, wenn das verursachende Trauma des Suchtverhaltens identifiziert wird. Die Eltern müssen zunächst ihre eigenen Bindungsstörungen und Traumata bearbeiten, um ihren abhängigen Kindern helfen zu können. Die Erfahrung zeigt, dass Sucht nur selten eine einzige Ursache hat, sondern dass sie das Ergebnis mehrerer Bindungsstörungen und Verstrickungen ist, die in mehreren Aufstellungen bearbeitet werden müssen.


Quellenverweise: »Krankheit«, »Bulimie«, »Drogenabhängigkeit«, »Magersucht«, »Sexsucht«

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