Treue bzw. Loyalität zum System/ transgenerationale Solidarität
- Pierre & Alexandra Frot
- 8. Juli 2019
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Juli 2019

Eine Grundannahme im Familienstellen lautet, dass man als Mensch vor allem seinen Eltern und seinem Herkunftssystem gegenüber treu ist. Treue zum System meint vor allem Liebe und bedeutet bereit sein, das Schicksal der Familie mitzutragen. Je kleiner Kinder sind, umso stärker sind sie an ihre Familie gebunden und umso größer sind ihre Liebe und ihr Bedürfnis, alles für die Familie zu tun. Kinder versuchen, das »Fehlende« zu ersetzen, wiedergutzumachen, zu sühnen oder den Eltern etwas abzunehmen. Obwohl sich die Tiefe der Bindung mit dem Älterwerden der Kinder immer weiter lockert, wirkt sie doch ein Leben
lang nach. Selbst wer sich als Erwachsener völlig von seiner Familie löst, den Kontakt abbricht, den Eltern Vorwürfe macht oder lebenslang zornig auf sie ist, kann nicht verhindern, dass in vielen seiner Verhaltensweisen und Gefühle diese ursprüngliche Liebe unbemerkt zutage tritt. Auch diese Kinder bleiben im Inneren weiterhin mit ihren Eltern verbunden, stehen im Dienst der Familie und erfüllen Aufträge. Die Treue zum Familiensystem ist oft die Ursache der größten und schwierigsten Probleme im Leben, denn die Bindung an das System und die Treue zur Familie wiegen für das Kind und später den Erwachsenen sehr viel schwerer als das eigene Glück. Aus Liebe und Treue übernimmt das Kind durch Verstrickungen fremde Schicksale, verwirklicht fremde Lebenspläne und versagt sich selbst, was einem anderen aus der Familie nicht vergönnt war. Unglück und
Leid werden so von Generation zu Generation weitergegeben. Innerlich miteinander verbunden, tragen es alle Mitglieder einer Familie weiter. Diese Loyalität gilt in erster Linie den leiblichen Eltern, aber auch den aus dem Familiensystem Ausgeklammerten: dem Onkel, der sein Vermögen verlor, der Schwester, die zu früh sterben musste, dem Großvater, der im Krieg fiel, usw.
Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd verwenden dafür den Begriff »transgenerationale
Solidarität«. Wegen der Treue zum System wird die Lösung oder die Heilung trotz gegenteiliger Beteuerung des Ratsuchenden oft gefürchtet und vermieden. Darin verbindet sich die Furcht vor dem Verlust der Zugehörigkeit mit dem Gefühl von Schuld und Verrat.
Aus der stabilen Verbindung zur Familie entsteht eine tiefe innere Zufriedenheit. Sie ist
oft an dem leichten Lächeln, mit dem manche Menschen von ihnen widerfahrenem Unglück
erzählen – z. B. bei einer schweren Krankheit oder einem finanziellen Verlust – zu erkennen.
Loyalität zu den Eltern
Kinder sind insbesondere ihren Eltern gegenüber loyal und zwar beiden Elternteilen in gleicher Verbundenheit. Problematisch wird es, wenn diese Loyalität eingefordert wird. Unterschiedliche Forderungen der Elternteile führen dann zu Loyalitätskonflikten. Wenn man z. B. zu einem Kind sagt: »Dein Vater war doch ein Säufer, werde nur nicht wie er«, so gerät das Kind in einen sehr schweren Loyalitätskonflikt zwischen Vater und Mutter. Für die Kinder bedeutet dies eine enorme innere Anspannung und seelischen Stress. Viele Kinder geschiedener Eltern stecken in solchen Konflikten. Bei Mädchen entsteht laut Aufstellern »nach Hellinger« daraus häufig eine Bulimie-Dynamik. Wenn einem Sohn der Satz: »Dein Vater war doch ein Säufer, werde nur nicht wie er« immer wieder gesagt wird, dann wird er oft aus Treue zu seinem Vater so wie dieser (siehe »Nachahmung«). Der lösende Satz dazu ist: »Bitte Mama, schaue freundlich auf mich, wenn ich Papa liebe.«
Andere Loyalitätskonflikte
In Aufstellungen werden oft auch andere Loyalitätskonflikte, die ähnliche Probleme verursachen, sichtbar:
Heimat: Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten oder wollten – und vor allem ihre Kinder – stecken oft in einem Loyalitätskonflikt zwischen der alten und der neuen Heimat.
Werte: Jemand kommt durch Heirat in einen fremden Kulturkreis und soll nun zwei verschiedenen Wertesystemen angehören.
Organisation: Wenn ein Mitarbeiter durch seine Arbeit in verschiedenen Unternehmen tätig ist, die miteinander in Konkurrenz stehen, oder wenn ein Mitarbeiter mehrere Chefs hat (z. B. bei einer Matrixorganisation), die sich streiten und von ihm exklusive Loyalität fordern, gerät er in einen Loyalitätskonflikt.
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